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Pie

Pie

Keiner weiß genau Bescheid
– keiner weiß, worum es geht. Irgendeiner mit ziemlich scharfem Urin, wahrscheinlich östrogen- oder antibiotikaverseucht, hat gegen den Baum der Erkenntnis gepisst, ihn praktisch umgepisst und das ganze Scheißobst verfault auf dem Boden und Irgendeinanderer wird den Baum schon wegkarren und wahrscheinlich sondermülldeponieren und dann Mehrgestockbauanträge stellen.
Ich kenne die Namen, aber ich nenne sie nicht, sonst heißt es hinterher wieder, ich wäre schuld.

KRO

KRO

Das hatte so viel Überwindung gekostet noch einmal in diesen wunderschönen alten Kro zu gehen. Angeblich um Kaffee zu trinken, ganz normal. In Wirklichkeit wegen dieser schönen Bedienung. Wieimmerauchschön!

Viel Mut zusammengedacht, vielleicht um sie anzusprechen, vielleicht mit kleinem Vorwand, vielleicht eine dänische Wendung oder so erklären zu lassen – Kontakt halt – Sehnsucht nach Kontakt halt – wieauchimmer.

Sehr zart und so schön dieser Tagtraum, der Traum von dieser großen Verliebtheit, diesem schönen Lachen von die Nähe und Geborgenheit , von Wärme, von Haaren, die so scheiße an der Backe kitzeln, wenn sie so schön leise atmend im Arm eingeschlafen ist – irgendsowasauchimmer! Im Tagtraum gehört Ihr auch der Kro und sie braucht auch da dringend jemand und alles löst sich auf – irgendwieauchimmer!

Aller Mut zusammengenommen! Es fing gut an- kaum Autos auf dem Parkplatz und in dem ganz, ganz langen Speisesaal mit den zehn Tischreihen saß nur eine komische Touristin an der Eingangstür. Und Sie – war tatsächlich auch da, wieder in einem solchen langen schwarzen Rock, der beim Gehen so leicht über die Waden schwingt und so ein kleines bißchen Haut zeigt, versprechend und doch so weit weg.

Ganz gelassen also mit viel Zeit habe ich mich an den letzten Tisch der Reihe gesetzt, leicht Grübchen zeigend gelächelt und auf den richtigen Moment gewartet für die leise Frage, mich leicht gleich zurücknehmend, sehr ängstlich, aber gewappnet, auf das Erschrecken vorbereitet, auf die erschreckende Abwehr in der Gestik, im Gesicht, in der Aura, auf diesen schrecklichen Moment des Verlassenwerdens, vonwemauchimmer!

Innerhalb von 30 Sekunden waren plötzlich alle Tische um mich herum besetzt. Einer von zwei Handwerkern die sehr laut und aufgeräumt ihre Mittagspause begingen und der andere von zwei älteren dänischen Paaren mit viel Zeit und der augenscheinlichen Absicht dieses Essen zu genießen und auszudehnen , sogar mit Aquavit am Ende. Da kann man nicht ankommen mit einer Kanne Kaffee. So lange kann man die nicht herauszögern, auch wenn man versunken scheint.

Was alles so passieren kann, daß man bloß seinen Traum nicht aufs Spiel setzt. Und fragen? Unmöglich! Nicht, wenn alle zuhören!

Alle waren sehr fröhlich und spaßig über die Tischgrenzen hinweg. Und sie mittendrin, mitscherzend, die Leute anfassend, leicht – freundliche leichte Berührungen an den Schultern außer bei mir. Immer wenn sie an mir vorbei zur Küche mußte hat sie mich nur wunderbar angestrahlt – so ganz von innen und ganz nach innen. Und ich natürlich zurück – hastewasbistwas!

Ich habe noch kurz mit ihr gesprochen beim Bezahlen über Belangloses, über dänsiches Essen oder und leise eingeflochten, daß ich zum Essen komme wolle. Sie hat sich ehrlich gefreut und mich angelächelt. Ich habe so schön grübchend zurückgelächelt, so ganz aus inne nach innen und bin nie hingegangen. Ich habe meinen wunderschönen Traum behalten. Wie schön, wie saumäßigschön!

KKT

KKT

kuschel, knuddel und tralala

… gingen mal wieder durch die leicht beleuchtete Esslinger Fußgängerzone, die – obwohl mitten in der Nacht – noch ausgesprochen weihnachtlich duftete – so richtig nach Weihnach-ten – nicht so wie auf diesen Weihnachtsmärkten auf denen nachmittags schon die angestell-ten aus den umliegenden Büros stehen und einen leicht säuerlichen glasigen Glühweinge-ruch verbreiten. tralalas trauriges Gesicht spiegelte sich im sprühdosenschaumbesternten Schaufenster von Hortie, in dem Plastikteddys nur Technikgeräte dekorierten.

Tralala war eigentlich sehr traurig. so traurig wie für Film-riesentränen, die langsam die backe runterkullern und erst spät- wirklich erst ganz spät von den Leuten gegenüber gesehen werden, die dann sehr erschrecken, weil sie sich so eine Trauer gar nicht vorstellen können – richtig gesehen natürlich nur von wenigen Leuten mit „Gesicht“ und Gefühl. Tralalas Trauer kam von ganz unten, von ganz innen, von da wo die Erinnerung nur ganz seltsame zweijähri-gen-bilder malen lässt, da wo diese verschissenen Frühkinder-Trauer-Scheisse sitzt mit all dem ganzen scheiss-allein-gelassen-werden und der ewigen Sehnsucht nach der ewigen wunderbaren umfassenden Geborgenheit und Nähe.

Tralalas Trauer nutzte das auch nix – das wissen um dies. Tralala wollte trotzdem gerne um-fassende Nähe und Geborgenheit. trotz dieser ganzen Scheiss-Alltagserfahrungen mit all den ganzen blöden eigenen nicht-loslassen-können-erfahrungen diesen was-kommt-da-hinter-ängsten.

Überwältigend war dieser Weihnachtsgeruch nach Zimt und Gebäck – nach unausgespro-chenen Versprechen – nach diesen wunderunglaublichen Paketen in unglaublichem be-rentiertem Geschenkpapier. Geschenke die man so bekommt, ohne vielleicht dafür gearbei-tet zu haben – einfach so vielleicht – einfach aus Liebe.

Darum – wegen diesem Geruch, dem Alleinsein und allem und weil Julia Roberts in dieser Badewanne so wunderunglaublich schön und schräg singt unter dem Walkman-kopfhörer und in den Filmen die Söhne und Töchter immer nach Hause kommen können nach zwanzig Jahren und irgendein alter Mensch sagt zum Beispiel: du bist zwar ein Serienpsychopathen-mörder und ich find das Scheisse, aber du bist mein Kind und ich lass dich nicht allein, – da-rum diese Tränen.

Und kuschel und knuddel? nix mitgekriegt von der Trauer? Doch -logisch -alles-schon aus Liebe und Freundschaft – und?

Sie haben tralala Pommes gekauft. Pommes rot-weiss bis zum abwinken. Bis tralala schlecht war – bis ihr so schlecht war, dass sie scheissenwütend wurde auf sich und ihre beiden Freunde – und dann musste sie lachen und schließlich gingen allen drei Arm in Arm lachend und irgendwie auch weinend die leicht beschneite Fußgängerzone bis nach Hause – Freunde eben.

1998

Schnecke

Schnecke

Es war einmal eine kleine Schnecke. Sie schneckte so vor sich hin, so wie alle Schnecken das tun. Und natürlich zog sie eine schönschleimige Schleimspur hinter sich her, so wie alle Schnecken. Nichts besonderes also an dieser Schnecke und kaum nötig von ihr erzählen, wenn da nicht …

Wie so viele andere Märchentiere auch, beschloss die kleine Schnecke eines Tages in die große weite Welt zu ziehen, um ihr Glück zu suchen. Es war ihr zu einfach nur eine Schnecke zu sein und vor allem zu wenig, nur eine Schnecke unter vielen zu sein – immer im selben Karree herumschneckend, immer eine ähnliche Schleimspur zie-hend, immer dasselbe Haus mit sich herumschleppend.

Es gab wohl Gerüchte über ein paradiesisches Leben in einem Land namens Frank-reich, in dem angeblich die Schnecken in der Welt eine ganz andere, eine viel größere Bedeutung erfahren. Aber auch diese ewigen gleichen Geschichten langweilten die kleine Schnecke. Sie wurden stets morgens an irgendwelchen langweiligen Salatblät-tern erzählt, nach denen man oft schrecklich schleimigen Durchfall kriegte, wegen dieses komischen Granulats der Menschen.

„Das kann doch nicht alles gewesen sein“, dachte sie und packte eines Morgens ihr Bündel: Einen kleinen Salatblattrest, ein bisschen Löwenzahn und schon ging es los.

Gleich im nächsten Garten traf die Schnecke einen kleinen Löwen mit einem Knopf im Ohr. Der Löwe guckte sehr traurig, denn er lag schief im Rasen und war wohl vergessen worden. „Du Löwe“, fragte die Schnecke, „warum hast du denn einen Knopf im Ohr?“ „ Ach“, sagte der Löwe „eigentlich wollte ich ja keinen Knopf, aber man hatte mir erzählt, dass die Menschen damit wunderschöne Musik hören können und da habe ich mich überreden lassen.“ „Und?“, fragte die Schnecke. „Na, nix!“, sagt der Löwe. „Ich höre nix und der kleine Junge, dem ich gehöre, hat mich im Gar-ten liegen lassen. Ich finde das sehr komisch.“
„Du?“, fragte die Schnecke. „Kennst du dich aus in der Welt? Weißt du, wo ich mein Glück finden kann?“ „Glück?“, fragte der Löwe? „Glück? Was ist denn das?“ Na ja – was sollte die kleine Schnecke denn darauf antworten? Schließlich wusste sie es ja selber nicht so genau. „Weißt du“, sagte sie mit sehr liebevoller Stimme, weil der Lö-we so traurig guckte, „wenn ich es gefunden habe, dann bringe ich dir ein Stück davon mit.“

Also zog sie weiter, sehr bedächtig, denn sie hatte viel nachzudenken. Und mehrere kleine Viertelstunden später traf sie eine rostige Gartenschere, die unter einem blü-henden Ranunkelstrauch lag. „Du“, fragte die kleine Schnecke sehr vorsichtig, denn sie wusste nicht so ganz genau, wie man mit rostigen Gartenscheren umgehen soll, „weißt du vielleicht, wo ich mein Glück finden kann?“
Die Schere antwortete nicht. Sie lag einfach nur so da und rostete vor sich hin. Gartenscheren können nun mal nicht sprechen und rostige schon gar nicht. Aber das konnte die kleine Schnecke nicht wissen, denn sie war wirklich sehr klein und war ja gerade erst aufgebrochen, die Welt zu entdecken. Sie wartete ein Weilchen, weil sie gelernt hatte, dass man gerade vor älteren Geschöpfen viel Respekt haben muss. Besonders, wenn sie vielleicht ein bisschen länger brauchen. Nach einigen Viertelstündchen räusperte sich die Schnecke und murmelte leise: „Na ja, ich bringe dir auf jeden Fall ein Stückchen Glück mit.“ Eigentlich fand sie die Schere doof und arrogant, aber sie dachte bei sich, dass bestimmt der Rost die Schere erst dazu gemacht hatte.

Also kroch die Schnecke neben einen Apfelbaum und da sie durch die viele Fragerei sehr großen Hunger bekommen hatte, fraß sie auf einen Haps ihren gesamten Vor-rat auf.

Mittlerweile hatte es zu regnen begonnen, was den Schnecken nicht so viel aus-macht, weil sie ja sofort in ihr Haus kriechen können. Also schlief die kleine Schne-cke ein bisschen und sie träumte wie noch nie. Sie träumte von riesigen Feldern und Wiesen und von einer gewaltigen Wasserfläche. Sie träumte von schrecklichen dunklen Schatten und von Herden von grauen Schnecken ohne Häusern, die alle stumm in eine Richtung zogen. Im Traum versuchte sie die Schnecken anzuspre-chen, aber sie zogen nur stumm weiter.

Als der Regen nur noch ganz leise auf ihr Haus trommelte, beschloss sie weiterzu-kriechen. Sie war sehr durchgefroren und vor allem sehr traurig – nicht nur durch die komischen Träume, sondern auch, weil sie sich so fürchterlich alleine fühlte zwischen diesen ganzen seltsamen Dingen und Pflanzen – einsam und verlassen. Und ein bisschen bereute sie ihren Entschluss in die Welt zu ziehen.

Plötzlich huschte ein Schatten vorbei, so schnell, dass die Schnecke gerade mal „HEH!“ hinterher rufen konnte, so laut wie eben kleine Schnecken rufen können. Der Igel kam sofort zurück. Es war ein ausgesprochen neugieriger Igel und sehr hinter ungewöhnlichen Dingen her. „Was willst du?“, fragte er barsch, sich leicht hinter dem Ohr kratzend, denn er war voller kleiner Igelläuse, die über die Unter-nehmungslust des Igels sehr begeistert waren, weil sie wirklich sehr viel erlebten in ihrem kurzen Läuseleben. „Weißt du“, sagte die Schnecke ein bisschen eingeschüch-tert. „Ich suche mein Glück und weiß überhaupt nicht, wo ich anfangen soll und was das ist.“ Der Igel war Gott sei Dank nicht in Wirklichkeit barsch und hek-tisch, sondern hatte ein großes Herz und war sehr einfühlsam. Das kann man ja schon daran merken, dass er die Schnecke nicht gleich aufgefressen hat – immerhin für Igel ein wichtiger Leckerbissen. Er hörte und spürte, dass die kleine Schnecke sehr weinerlich war und deshalb wurde er sofort sehr freundlich und antwortete: „Glück? – Na weißt du! So genau weiß ich das auch nicht, aber die Menschen, die reden ständig vom Glück. Geh doch mal zum Haus!“ Wuusch war der Igel schon weitergezogen, ein bisschen vorangetrieben von seinen Läusen, die solche Gespräche absolut langweilig fanden.

Das machte der Schnecke natürlich erstmal große Hoffnung. Die Menschen schienen sowieso sehr viele Antworten auf sehr viele Fragen zu haben. Also, nix wie los! Kaum hatte sie sich hinter dem Eingang angeschleimt ging auch schon die Tür auf. Au backe, wie schnell diese Menschen reden und gehen konnten und wie schwer das war, irgendetwas von diesen Menschendingen zu verstehen. Aber da war es wieder und immer wieder tauchte es auf und sie hatte es schon früher gehört in den Schne-ckengesprächen der Alten über die großen Weltdinge. Dieses Wort schien nicht nur Tiere zum Verstummen zu bringen, sondern auch die Menschen sehr zu beschäftigen: GOLD! Und irgendwie schien es so, also ob die Menschen ständig und immer eine unsägliche, unglaubliche Schnelligkeit und Hektik entwickelten und meist ging es wohl um Gold.

Es war der Schnecke auch schnell klar, dass diese lauten und schnellen Maschinen in die die Menschen ständig stiegen, damit zu tun haben. In Ihrer Aufgeregtheit und schon ein bisschen wackelig auf der Schleimspur – sie hatte sich schon lange keine Zeit mehr genommen, etwas zu essen – klebte sie sich ohne viel Nachdenken an einen dieser schwarzen drehenden Teile an der Menschenmaschine und eh sie sich versah, klappten Türen auf und zu und kaum konnte sie Luft holen, so schnell drehte sie sich plötzlich im Kreis.

Lange Zeit konnte sie sich mühsam an diesem Autoreifen fest halten, sehr schlecht war ihr vor Dreherei und von diesem Gestank und dem Lärm und natürlich vor Angst – so allein und so wagemutig und so ungewiss die Zukunft und so unklar das Ziel.

Nach vielen, vielen Viertelstunden und kurzatmigem, verkrampften Festschleimen, war sie schon fast ausgetrocknet und völlig am Ende ihrer Kraft. Sie merkte, dass ihre Suche nun wohl am Ende angekommen sei, dass sie sich zu viel zugemutet hatte. Sie hatte die guten Ratschläge der alten Schecken „Schnecke, bleibe bei deinem Schleim!“ in den Wind geschlagen und musste wohl jetzt einen hohen Preis bezahlen für ihre Neugierde und ihre Sehnsucht. Sie dachte noch einmal an ihren Heimatgarten und ließ dann einfach los.

Die kleine Schnecke wirbelte herum, drehte sich tausendmal und kullerte, wie durch ein Wunder unbeschadet, zwischen all den rasenden Autos, quer über die Straße in den Sand.

Viel Zeit verging und sicher hätte ein kleines Schnecken-EKG kaum noch ein Lebens-zeichen aufzeichnen können. Aber dennoch war da eine unsagbare Lebenskraft in der kleinen Schnecke und so wachte sie ganz früh morgens auf, geweckt von den ers-ten Sonnenstrahlen. Sie blickte auf, blinzelte und wusste sofort, dass sie das Gold ge-funden hatte, denn die Sonne erstrahlte das Meer, ließ es funkeln und glänzen, spielte mit den Wellen, warf kleine Sonnensterne in die Gischt. Immer wieder rauschten die goldenen Wellen an den Strand, von kleinen Regenbögen durchflutet. Sie erkannte die große Wasserfläche aus ihrem Traum und sie konnte die Schönheit kaum fassen. So viel Ruhe war in dieser Größe und doch so viel Bewegung.

Sie musste ihren Blick abwenden, stumm und demütig und da sah sie, dass die Son-ne auch ihre Schleimspur golden erstrahlen ließ und da erkannte sie, dass sie ihr Ziel erreicht hatte. Sie hatte das Glück gefunden und ihren Platz in der Welt. Und sie sah, dass das Glück bei ihr selbst war, dass sie es nur bei sich finden konnte und nicht in unbekannten Fernen. Ein tiefes Glücksgefühl überflutete sie und ihr kleines Herz wurde riesengroß.

08’2000