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kuschel, knuddel und tralala

… gingen mal wieder durch die leicht beleuchtete Esslinger Fußgängerzone, die – obwohl mitten in der Nacht – noch ausgesprochen weihnachtlich duftete – so richtig nach Weihnach-ten – nicht so wie auf diesen Weihnachtsmärkten auf denen nachmittags schon die angestell-ten aus den umliegenden Büros stehen und einen leicht säuerlichen glasigen Glühweinge-ruch verbreiten. tralalas trauriges Gesicht spiegelte sich im sprühdosenschaumbesternten Schaufenster von Hortie, in dem Plastikteddys nur Technikgeräte dekorierten.

Tralala war eigentlich sehr traurig. so traurig wie für Film-riesentränen, die langsam die backe runterkullern und erst spät- wirklich erst ganz spät von den Leuten gegenüber gesehen werden, die dann sehr erschrecken, weil sie sich so eine Trauer gar nicht vorstellen können – richtig gesehen natürlich nur von wenigen Leuten mit „Gesicht“ und Gefühl. Tralalas Trauer kam von ganz unten, von ganz innen, von da wo die Erinnerung nur ganz seltsame zweijähri-gen-bilder malen lässt, da wo diese verschissenen Frühkinder-Trauer-Scheisse sitzt mit all dem ganzen scheiss-allein-gelassen-werden und der ewigen Sehnsucht nach der ewigen wunderbaren umfassenden Geborgenheit und Nähe.

Tralalas Trauer nutzte das auch nix – das wissen um dies. Tralala wollte trotzdem gerne um-fassende Nähe und Geborgenheit. trotz dieser ganzen Scheiss-Alltagserfahrungen mit all den ganzen blöden eigenen nicht-loslassen-können-erfahrungen diesen was-kommt-da-hinter-ängsten.

Überwältigend war dieser Weihnachtsgeruch nach Zimt und Gebäck – nach unausgespro-chenen Versprechen – nach diesen wunderunglaublichen Paketen in unglaublichem be-rentiertem Geschenkpapier. Geschenke die man so bekommt, ohne vielleicht dafür gearbei-tet zu haben – einfach so vielleicht – einfach aus Liebe.

Darum – wegen diesem Geruch, dem Alleinsein und allem und weil Julia Roberts in dieser Badewanne so wunderunglaublich schön und schräg singt unter dem Walkman-kopfhörer und in den Filmen die Söhne und Töchter immer nach Hause kommen können nach zwanzig Jahren und irgendein alter Mensch sagt zum Beispiel: du bist zwar ein Serienpsychopathen-mörder und ich find das Scheisse, aber du bist mein Kind und ich lass dich nicht allein, – da-rum diese Tränen.

Und kuschel und knuddel? nix mitgekriegt von der Trauer? Doch -logisch -alles-schon aus Liebe und Freundschaft – und?

Sie haben tralala Pommes gekauft. Pommes rot-weiss bis zum abwinken. Bis tralala schlecht war – bis ihr so schlecht war, dass sie scheissenwütend wurde auf sich und ihre beiden Freunde – und dann musste sie lachen und schließlich gingen allen drei Arm in Arm lachend und irgendwie auch weinend die leicht beschneite Fußgängerzone bis nach Hause – Freunde eben.

1998