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Marsvintrauer

marsvin

 

Alter Brauch an der dänischen Ostsee: Wenn du einen Lochstein findest, dann schmeiß ihn über deine Schulter ins Meer und wünsch dir was – natürlich mit geschlossenen Augen.

Er hatte sich den Arsch abgerannt um einen zu finden, einen Lochstein. Die Augen schon tränend, fast blutig geglotzt. Auch von der ewigen Suche nach dem „marsvin“, dem kleinen Ostseewal. Wunderschöne kleine Miniwale oder Tümmler, von den Fischern weggenetzt und fast alle ertrunken – ganz uralte Tiere, so wie Wale halt, mit Mythen und Legenden umrankt, sauschlau und weise.

Er hat dann einen Lochstein gefunden – ziemlich groß und schwer! Uralt und salzig! Voller Geschichten und Muschelpickel! Sandig und rund! Löchrig und eckig!

Fest mit der Hand kaum umschlossen – fest die traurigen Augen zugedrückt – fest den schon so lange gehegten Wunsch aus dem Hinterhirn gepresst – weit den Stein geschleudert, trotz dieser Scheißschmerzen in der Scheißschulter – welch Sieg!

Er traf damit das allerletzte marsvin der Ostsee. Der Miniwal wollte nur nach der Quelle dieser tiefen Trauer schauen.

1998

5 Minuten nur

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Kleiner Fluss mäandert langsam vor sich hin mit wenig Brücken. Kleine Dörfer mit großen Kirchen liegen auf der Karte so nah und doch so weit auseinander ohne Brücke.

Die Kirchenglocke in Buffard glockt immer fünf Minuten später als unsere. Nachts auch. Auch dann, wenn du nicht schlafen kannst im Zelt, weil es windstill ist und du saumäßig gut das Kühlaggregat auf dem Nachbargrundstück hören kannst und das leise nebenhöhlige Atmen der Frau.

Zwei Schläge jede Viertelstunde – stets fünf Minuten auseinander. Bei Feiern und Messen auch – fünf Minuten auseinander. Eben auch nachts, wenn du wach liegst wegen des Kühlaggregats, aber eigentlich wegen der Zeit mit der Frau die so Scheiße geendet ist und die Schläge zählst und darauf hoffst, dass es später hell wird – wenigstens fünf Minuten.

Kommen die Leute in Buffard eigentlich fünf Minuten später in den Himmel?

September 2000

 

Weg zur Bewusstheit

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Der Weg zur Bewusstheit ist wie der Weg durch eine Wüste auf der Suche nach Wasser.

Von Wasserloch zu Wasserloch.

Ein unbeschreiblich saugeiles Gefühl – jedes neue Wasserloch.

Scheiße nur, wenn einer reingepinkelt hat. Noch mehr Scheiße, wenn du es selber warst, weil du mal wieder im Kreis gelaufen bist!

Seehnsucht

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jazz hören mal wieder nach vielen jahren – schön
ruhig – ich wär jetzt gern in einem dänischen Holzhaus mit vielen kerzen und
kleinem eisenofen und so’ner musik und vielen decken und kissen – und kurz
einen blick in den sturm draußen und vielleicht doch noch einmal mit viel
mut die stiefel und die mäntel über die schlafanzüge und doch noch mal an
die ostsee und die kerzen müssen brennen bleiben und auch die musik und dann
durchgefroren ins licht und die wärme und innen arm und lachen so von ganz
innen raus ohne genau zu wissen worüber und an der see ist dann so ein
glühen wie in einem drinnen und es ist, also ob man ganz weit gucken kann
und dreitausend sternschnuppen machen einen völlig fertig, weil man nicht
weiß, was man sich so schnell alles wünschen soll, außer immer wieder das
eine und selbe und dieser wind kommt dann von ganz weit her und bringt alles
mit an geruch was es nur gibt und auch stinkigen toten-fisch-gestank und
lichter von schiffen und seltsamen inseln, die man am tag nicht sieht,
funken , dass alles in ordnung ist, dass alles weiter geht und man nicht
aufpassen muß und das alles so richtig ist und der geruch des holzhauses ist
von sehr früher und dann guckt man doch noch schnell in sonem mickrigen tv
dänische soap-oper und versteht kein wort aber das ist scheißegal weil man
dann diese wärme hat und diese geborgenheit und den arm und das manchmal in
die augen gucken und verstehen , diese heimat, dieses gefühl „ich bin
angekommen“.

so würde ich anfangen, wenn mich einer nach meiner sehnsucht fragen würde

schüss
goebie

1.11.1998

Zur Erkenntnis

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Auf dem Weg zur Erkenntnis – wie durch einen Berg durch – Tunnel graben.

Je weiter du kommst, desto weiter mußt du den ausgegrabenen Schutt zurückbringen

– zuerst mit Hand  –  dann vielleicht mit Eimern, dann mit der Schubkarre und wenn Dein Berg dick ist, mußt du sogar Schienen legen und Loren benutzen.

Zum Ende hin wird’s sauschwer, weil ja jedesmal der Weg zurück so lang ist.

Aber du kannst nie aufgeben, weil du nach dem nächsten Spatenstich vielleicht durchbrichst und die Sonne siehst!

August 1998

Prinzen

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13 kleine Prinzen
haben gut lachen –
sie tanzen wahrhaftig
auf einer Briefmarke
und haben sonst
nichts zu tun.

13 Briefmarken
kleben auf einem Brief
an eine Prinzessin
und haben sonst
nichts zu tun.
Lachen können sie nicht –
sind eben nur
Briefmarken.